‘KILL/TÖTEN’ – EXHIBITION CATALOG
The catalog for the exhibition ‘Kill’ in the Erlanger Kunstpalais was created in collaboration with the Friedrich-Alexander-University Erlangen-Nuremberg and treats interdisciplinary positions on killing. Michal Kosakowski’s video-installation “Do You Have Murder Fantasies?” was part of the exhibition amongst other international acclaimed artists.
‘DO YOU HAVE MURDER FANTASIES?’ – KUNSTPALAIS ERLANGEN
Killer games, shooting sprees, honour killings, infanticides, lust murders, political murders, suicides, genocides, suicide bombers, terror attacks, wars and civil wars, the killing of civilians and killed soldiers: killing seems to have become omnipresent in our media-dominated world. But then why is this development hardly reflected in contemporary consciousness?
The aim of the exhibition is to examine this contradiction between awareness and reality. It analyses current expressions of killing in contemporary art and the way in which the unspeakable, unimaginable and unaccept able is perceived in this context. Twelve internationally renowned artists portray both the perpetrators’ and the victims’ perspective and examine killing both as a physical act and as a psychological fantasy. They create imminent pictures of killing and also develop abstract analyses of crimes. They explore social structures and individual depths, reflecting their presence in the media.
Editor: Agnes Bidmon, Claudia Emmert, Kunstpalais Erlangen
The catalog is published in the Kehrerverlag Heidelberg.
2012, Hardcover, 16,5 x 22,5 cm, 352 pages, 66 color ills., German
ISBN 978-3-86828-355-6
39,90 Euro
PUBLICATION “TÖTEN” – KEHRERVERLAG HEIDELBERG
Interview with Michal Kosakowski on his video-installation ‘Do You Have Murder Fantasies?’ (in German)
Kunstpalais Erlangen: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Menschen nach ihren Mordfantasien zu befragen und sie aufzufordern, diese in Kurzfilmen zu inszenieren und woher kommen die Fantasien?
Michal Kosakowski: Ich wuchs in den Jahren 1975-1985 im kommunistischen Polen auf. Mein Zugang zum Fernsehen war beschränkt auf 2 polnische TV-Kanäle die in schwarzweiß gesendet wurden. Das TV-Angebot bestand mehr oder weniger aus alten polnischen Komödien und patriotischen Kriegsfilmen aus den 50er Jahren. Ab den 80er Jahren fanden langsam aber doch internationale Spielfilme aus dem Westen den Weg ins polnische Fernsehen. Diese Filme waren sehr rar und gerade deshalb für mich so spannend. Auch im Kino waren meine ersten Erlebnisse japanische Monsterfilme wie Godzilla oder Gamera, die komischerweise als erste den Weg nach Polen geschafft haben. Meine Mutter ging oft mit meinen Bruder und mir zur Sonntagsmatinee ins Kino. Dort sahen wir, wie ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden. Interessanterweise habe ich als 6-10-jähriger die Machart dieser Zerstörungsorgien analysiert. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie man solche phantastischen Stoffe inszeniert hat und welche Emotionen solche Bilder in mir auslösen konnten.
Ich war schlicht und weg fasziniert von der Tatsache, dass es möglich war, Gewalt anders als in der Realität zu spüren und zu erleben. Gewalt kannte ich bis dahin nur als etwas Reales, das ich während des Kriegszustandes im Winter 1981 auf der Strasse vor meiner Haustür in Form von stehenden und zum Einsatz bereiten Panzern erlebt hatte.
Eines Tages, ich war vielleicht 7 oder 8 Jahre alt, habe ich mal den Fernseher abends eingeschalten. Es lief gerade der Musikclip Thriller von Michael Jackson, in dem sich in diesem Moment ein Zombie aus dem Grab erhob. Ich lief sofort weg und verschwand in meinem Zimmer. Dieses Bild aber hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und zwang mich dazu, die Geschichte in meiner Fantasie weiterzuentwickeln. Als ich 1985 mit meiner Familie nach Wien gezogen bin, sah ich zum ersten Mal eine Videothek – so etwas gab es in Polen damals nicht – und ich entdeckte dort die Vielfalt an Filmen die man sich ausleihen konnte. Auch das Angebot an Filmen im Fernsehen war im Westen viel größer als ich mir dies jemals hätte vorstellen können. So begann ich alles mögliche an Filmen zu konsumieren. Ich begann nachzudenken, wie es wohl hinter der Kamera aussehen mochte, hinter der geschaffenen Fiktion. Als sich mein Vater seine erste VHS-C-Videokamera kaufte, schien der Augenblick für mich perfekt, diesen Raum hinter der Kamera zu betreten und zu entdecken. Beeinflusst durch die unzähligen Filme aus dem phantastischen Genre (Horror, Mystery, Psychothriller, Fantasy, Science-Fiction) produzierte und drehte ich zwischen meinem 10. und meinem 20. Lebensjahr über 30 Kurzfilme, die sich mit den Abgründen der menschlichen Seele auseinandersetzten – verpackt als Horror-Genrefilme mit einem sehr starken Hang zur Experimentierfreudigkeit. Jedoch ging mir dies nicht weit genug. Ich hatte die Erkenntnis, dass die Umsetzung meiner eigenen phantastischen Geschichten für den Zuschauer zwar einen gewissen Unterhaltungswert hatten, aber kaum zum Nachdenken über die von mir geschaffenen Gewaltbilder anregte. Es bedurfte eines radikalen und direkten Weges, um dem Zuschauer eine Auseinandersetzung mit dem Gesehenen, in dem Fiktion und Realität ständig hinterfragt werden, zu ermöglichen. So entstand die erste Ideenskizze für das Projekt Fortynine: Wie wäre es, wenn “normale” Menschen von der Strasse mir ihre Mord- und Gewaltfantasien mitteilen, und ich setze diese in Form von Kurzfilmen mit den befragten Personen als Darsteller der Täter oder Opfer um? Meine Annahme war, dass Menschen, die keine Filmdarsteller sind, trotzdem eine fiktive Mordtat echt darstellen können, solange diese Tat ihrer tiefsten eigenen Vorstellung entsprang. Durch die Darstellung eigener Mordfantasien, als Täter sowie als Opfer, hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, eigene Erlebnisse und Ängste auszuleben. Bei manchen waren es schockierende Bilder, die sie im Fernsehen gesehen haben und nicht vergessen konnten. Bei anderen waren es gewalttätige Spinnereien, die meiner Meinung nach in sehr vielen Menschen gar nicht so tief verborgen liegen.
Kunstpalais Erlangen: Zehn Jahre später haben Sie diese Menschen erneut aufgesucht, um sie zu Themen wie Rache, Folter, Terrorismus oder Todesstrafe zu befragen. Wie kam es dazu?
Michal Kosakowski: Zwischen 1996 und 2007 sind insgesamt 49 Kurzfilme mit über 160 Darstellern entstanden. Die Präsentation der Filme erfolgte in einem 4x3x5m verspiegeltem Stahlkubus über eine HD-Rückprojektion, auf welcher die Kurzfilme gleichzeitig in einem 7×7 angeordneten Rastersystem zu sehen waren, gespiegelt in die Unendlichkeit. Der Zuschauer konnte diesen Raum betreten und stand vor einer riesigen, sich in die Unendlichkeit ausbreitenden Wand von Bildschirmen, auf denen die Kurzfilme gleichzeitig zu betrachten waren. Der Zuschauer selbst wurde Teil der Installation durch das eigene Spiegelbild. Dadurch, dass es sehr teuer war, den Spiegelkubus an verschiedenen Orten zu installieren, entstand 2009 die Idee, aus den 49 Kurzfilmen einen Spielfilm zu kreieren und diesen auf großer Leinwand zu zeigen. Nach dem ersten Rohschnitt stellte es sich aber heraus, dass ein Zusammenschnitt der 49 Kurzfilme mit expliziten Gewaltdarstellungen nicht den gewünschten Effekt einer Reflektion medialer Gewaltdarstellungen hervorgebracht hat, schlimmer noch, es bewirkte das Gegenteil, was ich mit der Installation Fortynine immer erreichen wollte. So entstand die Idee zu einem Trailer, in dem ich einige der Darsteller nach mehr als 10 Jahren wieder aufsuchte und diese um kurze Statements über Erinnerungen und Eindrücke vom Dreh gebeten habe. Schnell bemerkte ich, welches Potenzial diese Antworten hatten und ich erweiterte meinen Fragenkatalog mit Fragen, mit Bezug auf die Gegenwart: Was würdest Du tun, wenn jemand Deinen liebsten Menschen ermordet? Soll Folter legalisiert werden? Sind Soldaten Mörder? Was sind die Ursachen für einen Amoklauf? etc. Es entstand über 50 Stunden Material aus dem ich den Film Zero Killed entwickelt habe, für den ich aber nur einen Bruchteil der Interviews sowie Ausschnitte aus den Kurzfilmen verwendet habe.
Die Gelegenheit, die Installation “Do You Have Murder Fantasies?” im Kunstpalais Erlangen zu produzieren, war angesichts der Menge an Material eine Herausforderung. Somit entstand ein Werk von über 10 Stunden, das Realität und Fiktion in eine bedenkliche Nähe bringt.
Kunstpalais Erlangen: “Do You Have Murder Fantasies?” Ist diese Frage als direkte Aufforderung an die Besucher zu verstehen, sich mit ihren Mordfantasien auseinanderzusetzen?
Michal Kosakowski: Ja, natürlich, jeder der den Raum betritt, ist unweigerlich konfrontiert mit den dargestellten Morden und den Interviews mit den Darstellern. Je länger man in diese Welt eintaucht, umso mehr sucht der Zuschauer selbst nach sich und seinen eigenen Antworten. Das ist immer ein wichtiger Teil meiner Arbeit.
Kunstpalais Erlangen: Kann oder darf die bildende Kunst den Akt des Tötens darstellen? Stellt Ihre Arbeit einen Tabubruch dar?
Michal Kosakowski: Jede Idee, jedes Konzept, dass einen gesellschaftlichen Diskurs eröffnet, auch bei Menschen, die sich dadurch provoziert fühlen, ist notwendig. Solange Tabus angesprochen und im besten Falle aufgebrochen werden können, bin ich als Künstler dazu verpflichtet, alles darzustellen. Es gibt für mich keine Grenzen.
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